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Mammut-Prozess um erfundene Kryptowährung beginnt

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Von: Marcus Engert

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Dem angeklagten Ehepaar aus Greven wird Betrug vorgeworfen. Nicht im Bild: Der dritte Angeklagte, ein Rechtsanwalt aus München, dem Geldwäsche vorgeworfen wird.
Angeklagte im OneCoin-Prozess in Münster. © Marcus Engert/Ippen Investigativ

Nach sechs Jahren Ermittlungen beginnt vor dem Landgericht Münster ein spektakulärer Prozess. Es geht um eine erfundene digitale Währung namens OneCoin. Und um die Frage, ob sich dahinter womöglich ein weltweiter, milliardenschwerer Betrug verbirgt, der in Deutschland seinen Anfang nahm.

Angeklagt sind mit Manon H. und Frank R. ein Ehepaar aus Greven sowie Martin B., ein Rechtsanwalt aus München. Dem Ehepaar aus Greven wirft die Staatsanwaltschaft vor, mit ihrer Firma, der IMS GmbH, der deutsche Zahlungsdienstleister der erfundenen digitalen Währung OneCoin gewesen zu sein.

Die IMS GmbH soll so in nur einem Jahr mehr als 320 Millionen Euro eingenommen haben. Enorme Summen sind anschließend in Steuerparadiese und Fonds ins Ausland geflossen. Mehr als 88.000 Zahlungseingänge konnten die Behörden feststellen, darunter auch das Geld von zehntausenden Deutschen. Damit sollen sie die dubiosen Geschäfte mit der frei erfundenen Währung OneCoin unterstützt haben. 3,2 Millionen Euro Provision soll die Firma von Frank R. und Manon H. dafür bekommen haben. Die Finanzaufsicht Bafin und die Staatsanwaltschaft Bielefeld sahen darin ein unerlaubtes Finanztransfergeschäft. Nach Ansicht des Gerichts kommt allerdings auch eine Verurteilung wegen Geldwäsche und Beihilfe zum Betrug in Frage.

Der Rechtsanwalt soll durch falsche Angaben zur Herkunft des Geldes geholfen haben, 75 Millionen Euro auf einen Fonds auf den Cayman Islands zu schleusen. Und er soll rund 20 Millionen Euro nach London transferiert haben, mit denen dann für die Erfinderin von OneCoin, die „Kryptoqueen“ genannte Deutsch-Bulgarin Ruja Ignatova, zwei Luxus-Apartments im teuren Londoner Stadtteil Kensington bezahlt worden sein sollen. Für beides wird ihm Geldwäsche und Betrug vorgeworfen.

Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. Sie hätten nur als Dienstleister für OneCoin oder dessen Gründerin gearbeitet, selbst daran geglaubt, dass OneCoin eine echte Währung sei, erfolgreicher als der BitCoin werden könnte und schon deswegen keinerlei Betrugsabsichten gehabt. Außerdem sei die das Verfahrensdauer schon jetzt viel zu lang und der öffentliche Ruf der Angeklagten sei dadurch erheblich geschädigt.

Mehr als 200 Seiten hat allein die Anklageschrift, über 50 Bände die Hauptakte. Über sechs Jahre lang ermittelte die Staatsanwaltschaft Bielefeld.
Mehr als 200 Seiten hat allein die Anklageschrift, über 50 Bände die Hauptakte. Über sechs Jahre lang ermittelte die Staatsanwaltschaft Bielefeld. Der Prozess wird sich bis in den Sommer 2022 ziehen. © Marcus Engert / Ippen Investigativ

War OneCoin wirklich eine digitale Währung – oder sollte es nur so aussehen?

Ob es tatsächlich zu einer Verurteilung wegen Betrugs kommt hängt maßgeblich von einer Frage ab: Können die Ermittler beweisen, dass OneCoin erfunden war - und damit gar keine echte Kryptowährung?

Kryptowährungen sind digitales Geld. Die bekannteste von ihnen heißt Bitcoin. Hinter Kryptowährungen steht kein Staat, keine Zentralbank. Damit es dabei nicht zu Betrug kommt, gibt es eine eingebaute technische Absicherung: Die sogenannte Blockchain. Man kann sie sich wie ein ständig fortgeschriebenes, öffentliches Kassenbuch vorstellen. Jeden Coin, jede Münze gibt es nur ein mal. Geht sie von einem Nutzer zum anderen über, wird das in der Blockchain protokolliert. Das soll verhindern, dass das digitale Geld zweimal ausgegeben wird.

Der zweite Sicherungsmechanismus von digitalen Währungen: Die verfügbare Menge des Geldes ist von vornherein begrenzt. Damit ist das Angebot limitiert. Steigt die Nachfrage, steigt auch der Preis. Fällt die Nachfrage, sinkt der Preis.

Was OneCoin betrifft, so hoffen die Staatsanwälte, genau das zeigen zu können: Dass es eben keine funktionierende Blockchain gab. Dass die Menge des Geldes eben nicht begrenzt war. Dass darum die Köpfe hinter OneCoin den Preis für ihre angebliche Währung beliebig selbst festsetzen konnten, der auffälligerweise immer nur stieg. Kurzum: Dass das ganze System OneCoin von Beginn an nur den Anschein einer funktionierenden Kryptowährung erwecken sollte, um damit arglose Menschen dazu zu bringen, in OneCoin zu investieren – und dass die nun Angeklagten all das wissen konnten und in Kauf nahmen.

Viele haben investiert, für manche war es die Altersvorsorge

So richtig interessant im finanziellen Sinne wurde der Vertrieb von OneCoin ohnehin erst durch Provisionen: Denn wer investierte, der konnte auch selbst neue Investoren anwerben. An deren Investment verdiente man dann mit. Warben diese neuen Investoren dann ihrerseits neue Kunden an, verdiente man auch an deren Investment mit. Klassisches Network-Marketing. Wer es auf diese Weise schaffte, in der Linie unter seinem Namen hunderte oder gar tausende neuer OneCoin-Kunden zu versammeln, für den konnte es zu beachtlichen Ausschüttungen kommen. Nur gelang genau das den Allerwenigsten.

Bis heute ist unklar, wie hoch der Schaden wirklich ist. In Unterlagen der US-Behörden ist von vier Milliarden Dollar die Rede. Interne Unterlagen von OneCoin, die Ippen Investigativ vorliegen, weisen 5,2 Milliarden Umsatz bis Mitte 2017 aus. Ein US-Richter nannte vergangenes Jahr sogar die unglaubliche Summe von 15 Milliarden.

Weltweit sollen 3,5 Millionen Menschen in OneCoin investiert haben, darunter auch mehr als 60.000 Deutsche, manche von ihnen enormen Summen: ihre Altersvorsorge, die Rücklagen für das Studium der Kinder. Nicht wenige haben auch andere überredet, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Familien – mitunter sind Beziehungen daran zerbrochen. 

Bis heute glauben manche, dass OneCoin die große Revolution im Finanzmarkt ist, als Weltwährung staatliches Geld ablösen wird und dass die Erfinderin von OneCoin, die „Kryptoqueen“ Ruja Ignatova, im Hintergrund mit den Zentralbanken der Welt den Tag X vorbereitet.

Doch der Großteil der Käufer scheint sich von dem Gedanken verabschiedet haben, das in OneCoin investierte Geld jemals wiederzusehen. Ippen Investigativ hat mit zahlreichen von ihnen gesprochen – niemand bekam bislang sein Investment zurück. Die Menschen, die sie angeworben hatten, seien nicht mehr erreichbar. Fragen würden nicht beantwortet.

Welche Rolle spielten deutsche Anwälte beim Erfolg von OneCoin?

Einen Satz hört man von Menschen, die sich als OneCoin-Opfer sehen, immer wieder: Das ganze habe  einen seriösen Eindruck gemacht. Eine eingewanderte charismatische Gründerin aus Bulgarien, im Schwarzwald zur Schule gegangen, Jura-Studium an der Uni Konstanz, sogar mit Doktortitel. Außerdem habe es doch positive Gutachten von deutschen Anwälten gegeben.

Tatsächlich hatte der nun angeklagte Rechtsanwalt aus München schon im September 2014 – noch bevor OneCoin richtig startete – auf dem Briefkopf seiner Kanzlei eine juristische Stellungnahme verfasst. Darin heißt es: „Unserer Auffassung nach ist OneCoin ein legitimes Produkt, limitiert auf 2,1 Milliarden.“ In Präsentationen aus Werbeveranstaltungen für OneCoin, die Ippen Investigativ vorliegen, wird damit geworben. 

Und noch zwei weitere Rechtsgutachten tauchen in diesen Präsentationen auf. Eines davon stammt von Rechtsanwalt Schulenberg aus Hamburg, der sich auf das sogenannte Multi-Level-Marketing, auch Direkt- oder Network-Marketing genannt, spezialisiert hat, mit dem auch OneCoin vertrieben wurde. Auch er hatte im Frühstadium von OneCoin eine “Gutachterliche Stellungnahme” abgegeben und erklärt, seiner Auffassung nach sei das Vertriebssystem von OneCoin legal. Später mahnte Schulenberg im Auftrag von OneCoin und dessen Vertriebspartnern Blogs und Texte ab, die kritisch über OneCoin berichteten. Und jetzt tritt seine Kanzlei als Verteidiger im Gerichtssaal auf. Bis heute bloggt Schulenberg zu OneCoin, auf Anfragen von Ippen Investigativ reagierte er bislang nicht.

Inzwischen sammeln und koordinieren sich auch deutsche OneCoin-Opfer und versuchen, Schadenersatz einzuklagen. Für sie tickt die Uhr. Denn nach fünf Jahren verjähren ihre Ansprüche, egal ob sie nur einige hundert Euro investiert hatten oder zehntausende.

So und auch so: Das kommende Jahr wird spannend für all jene, die hoffen, neues zu OneCoin zu erfahren: Denn nicht nur wird ein Film mit Kate Winslet in der Hauptrolle gedreht, immer wieder kursieren auch Gerüchte, Netflix könnte den Stoff verfilmen. In Großbritannien ist für den Sommer ein Enthüllungsbuch angekündigt. Im nun eröffneten Verfahren in Münster sind 50 Verhandlungstage angesetzt. Bis Mai 2022 soll der Prozess laufen. Gut möglich, dass auch das nicht reicht.

Wir recherchieren weiter zum Thema OneCoin – helfen Sie uns dabei!

Ippen Investigativ ist das Rechercheteam der Verlagsgruppe Ippen, zu der auch unsere Redaktion gehört. Wir recherchieren weiter zum Thema. Haben Sie Tipps und Hinweise, denen wir nachgehen sollen? Dann melden Sie sich bei uns: unter recherche@ippen-investigativ.de.

Hier finden Sie mehr Hintergründe zum Thema „OneCoin“.

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