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Experte: Rente mit 69 wird kommen – daran führt kein Weg vorbei

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Von: Fabian Hartmann

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Ein älterer Mann bei der Arbeit.
Ein Blick auf die Arbeitswelt von morgen: Rentenexperten fordern, dass die Deutschen länger arbeiten sollen.  © imago

Die Rente ist sicher? Nein, sagt der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen. Er fordert die Deutschen auf, länger zu arbeiten – und sagt, wie man seine Altersvorsorge retten kann.

Berlin – Deutschland diskutiert über die Rente – mal wieder. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zum Jahresende vor massenhafter Frühverrentung gewarnt. Dabei blicken Ökonomen schon lange kritisch auf die Rentenpolitik. Einer, der seit Jahrzehnten mahnt und warnt, ist Bernd Raffelhüschen. Der Freiburger Finanzwissenschaftler beschäftigt sich beruflich mit der Nachhaltigkeit des Rentensystems. Seine Diagnose: So, wie es ist, kann es nicht bleiben – oder die junge Generation wird komplett überfordert. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA sagt Raffelhüschen, mit welcher Rente die Deutschen in Zukunft noch rechnen können.

Herr Raffelhüschen, die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hat gefordert, dass die Deutschen länger arbeiten sollen – auch über das Alter von 67 hinaus. Aus der Politik hat sie dafür Gegenwind bekommen. Hat Sie das überrascht?

Nein, ich kenne es ja selbst. Die Forderung erhebe ich seit Jahren schon. Doch die Politik verschließt die Augen vor dem Problem. Und Sie können sich nicht vorstellen, was für Mails hinterher in meinem Postfach landen, wenn ich mich entsprechend äußere. Das reicht von fürchterlichen Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen.

Das Thema ist emotional besetzt. Viele Menschen haben Sorge, gewissermaßen um ihre Rente betrogen zu werden.

Es ändert nichts an den Fakten. Sie werden keinen Rentenexperten finden, der etwas anderes sagt. Die Rente mit 67 greift voll ab dem Jahr 2031. Und wir müssen schauen, wie es danach weitergeht. Der eleganteste Weg wäre es, die Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung anzupassen.

Was bedeutet das?

Heute liegt die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei 20,5 Jahren. Es wäre unfair, wenn zukünftige Rentner – bei gleichbleibender Lebensarbeitszeit – 21, 22 oder noch mehr Jahre Leistungen beziehen. Heißt also: Jeder sollte für ein Jahr Rentenbezug im Durchschnitt die gleiche Anzahl an Beitragsjahren geleistet haben. Das wäre fair, integrativ und würde die Gleichbehandlung über die Generationen hinweg sichern – ein Vorschlag, den wir im Übrigen schon vor 30 Jahren gemacht haben.

Also müssten sich die Deutschen darauf einstellen, bis 69 oder 70 zu arbeiten?

Wenn wir davon ausgehen, dass zumindest ein Teil der steigenden Lebenserwartung auch in eine längere Lebensarbeitszeit übersetzt wird, kommen wir auf ein Alter von 69. Nicht sofort, aber perspektivisch. Wichtig ist, dass die Politik schon jetzt die Weichen dafür stellt.

Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen.
Bernd Raffelhüschen ist Professor für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen und die Sozialversicherungssysteme. © imago

„Rentenpapst“ fordert: Die Rente muss von der Lohnentwicklung entkoppelt werden

Die Rentenversicherung hat für das letzte Jahr einen Überschuss von rund zwei Milliarden Euro gemeldet. Die frühere Arbeitsministerin und heutige Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, sagt, die Rente „ist quicklebendig“. Was stimmt denn nun?

Eine gewagte Aussage! Ich empfehle Frau Nahles, sich mit dem Phänomen der Inflation einmal genauer auseinanderzusetzen. Es ist richtig, dass die Rentenkasse höhere Einnahmen erzielt hat. Warum hat sie das getan? Weil die Löhne gestiegen sind. Die Löhne sind aber nicht gestiegen, weil die Produktivität höher ist – es handelt sich um einen teilweisen Ausgleich für die hohe Inflationsrate, die zudem die Renten in ihrer realen Kaufkraft auch aushöhlt. Von einer Entspannung kann keine Rede sein.

Sie fordern, dass die Renten langsamer steigen sollen als die Löhne. Heißt das im Umkehrschluss nicht, dass man die Rentner vom wirtschaftlichen Fortschritt abkoppelt?

Das ist genau der Weg, den wir gehen müssen. Und den wir auch schon gegangen sind. Es war die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder, die den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenversicherung eingeführt ist – das war nichts anderes ist als die Entkoppelung der Renten von der Lohnentwicklung.

Was bedeutet das für die Höhe der Rente in Zukunft?

Das Rentenniveau liegt aktuell bei 48 Prozent und muss weiter sinken.

Beim Rentenniveau handelt sich um eine statistische Größe, die das Verhältnis zwischen Rentenhöhe nach 45 Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen ausdrückt. Sie beschreibt – vereinfacht gesagt –, wie hoch die gesetzliche Rente eines Durchschnittsverdieners nach dieser Zeit ist. Steigen die Löhne schneller als die Renten, sinkt das Rentenniveau.

Genau. Und dieser Wert muss runter auf 42 oder 41, vielleicht sogar auf 40 Prozent. Das ist ein Gebot der Fairness. Wir müssen die Beiträge der jungen Generation in etwa konstant halten. Und Fakt ist, dass es immer mehr Alte gibt, aber immer weniger Beitragszahler. Die Jungen müssen sich darauf verlassen können, dass sie dieselben Beiträge zahlen wie ihre Eltern und Großeltern aus der Babyboomergeneration – die auch die Verursacher der Misere sind.

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Rentenexperte Raffelhüschen: „Altersarmut ist in Deutschland kein Problem“

Was meinen Sie damit?

Man muss sich klarmachen: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge, die bald in Rente gehen, das gleiche Sicherungsniveau einfordern wie die Generation davor, dann hätten sie mehr Kinder in die Welt setzen müssen. Doch die fehlen. Das ist die Schuld derer, die bereits in Rente gegangen sind oder es bald wollen – und nicht die Schuld der wenigen Kinder, die nachkamen und jetzt zahlen sollen. Wichtig ist, dass die demografischen Lasten verursachergerecht zwischen den Generationen verteilt werden.

Wenn das Rentenniveau weiter absinkt, müssen die Menschen mehr privat vorsorgen. Wie soll das ein Geringverdiener schaffen?

Um die geht es nicht. Niedrigverdiener, die nicht viel einzahlen, werden über die Grundversorgung aufgefangen. Das ist auch nur eine kleine Gruppe. Altersarmut ist heute kein Problem in Deutschland und wird es auch in Zukunft nicht sein – zumindest nicht für besonders große Teile der Bevölkerung. Wo wir aber ein Problem bekommen können, ist bei Menschen, die zur unteren Mittelschicht gehören und die nicht privat vorgesorgt haben. Andere Länder haben schon vor vielen Jahren auf Kapitaldeckung – etwa mit Aktien – gesetzt. Bei uns wurden sie als Spekulationsobjekt verdammt. Und jetzt stehen wir ziemlich doof da.

Allerdings hat sich die Ampel-Koalition vorgenommen, die Aktienrente einzuführen.

Ja, aber 30 Jahre zu spät. Was bringt Menschen, die in fünf, zehn oder 15 Jahren in Rente gehen, die Kapitaldeckung? Es braucht Jahrzehnte, bis daraus ein Vermögen erwächst. So viel Zeit haben diese Menschen aber nicht mehr. Und außerdem: Die zehn Milliarden Euro, die die Ampel für einen Aktienfonds einplant, sind nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, wären bis 2040 rund 3000 Milliarden Euro für die Stabilisierung der Rentenkasse notwendig. Daran sieht man schon: Es ist absurd.

Wenn es um die Rente so schlecht steht: Was würden Sie einem 25-jährigen Berufseinsteiger, einem 40-Jährigen, der mit beiden Beinen im Berufsleben steht, und einem 55-jährigen Arbeitnehmer, der sich um seine Rente sorgt, raten – wie kann er seine Altersvorsorge retten?

Einem 25-Jährigen würde ich sagen: Mach dir keine Sorgen. Wenn du auf Kapitaldeckung setzt, hast du genügend Zeit. Sein Problem ist nicht die Rente, die er selbst bekommt. Sondern die vielen Beiträge, die er für die Rente seiner Eltern zahlt. Das ist das Problem der jungen Generation. Wer heute um die 40 ist, hat auch noch genügend Zeit für Vorsorge.

Und was ist mit dem 55-Jährigen, der vielleicht nicht vorgesorgt hat?

Der hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht, der jetzt auch nicht mehr umkehrbar ist. Das zeigt: Es ist ein Fehler, sich allein auf die gesetzliche Rente zu verlassen. Daher ist es so wichtig, dass die Politik jetzt die richtigen Schlüsse zieht – und das den Deutschen auch sagt.

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