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Adieu 1,5 Grad, hallo Zwei-Grad-Ziel: Die Industrie tut nicht genug, um klimaneutral zu werden

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Von: Fabian Hartmann, Anna-Katharina Ahnefeld

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Das ThyssenKrupp Stahlwerk Schwelgern: Für die Stahlindustrie ist grüner Wasserstoff der zentrale Baustein in Richtung Klimaneutralität.
Das ThyssenKrupp Stahlwerk Schwelgern: Für die Stahlindustrie ist grüner Wasserstoff der zentrale Baustein in Richtung Klimaneutralität. © Marcel Kusch/dpa (Archivfoto)

Die Begrenzung auf 1,5 Grad Erderwärmung ist kaum noch möglich. Trotzdem kommt es jetzt beim Klimaschutz auf jedes Zehntel Grad an. Das nimmt alle in die Verantwortung – vor allem die Industrie.

Berlin/Köln – Das Klimaziel ist tot, lang lebe das Klimaziel: Das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen gilt als unerreichbar, nächste Station ist die Begrenzung auf zwei Grad Erderwärmung. Überraschend dürfte das kaum sein; seit einiger Zeit erhärtet sich die Überzeugung, dass die 1,5 Grad nicht mehr zu schaffen sind. Das Erreichen des Temperaturziels sei nicht plausibel, heißt es etwa im neuen Klima-Bericht der Universität Hamburg. „Die erforderliche tiefgreifende Dekarbonisierung kommt einfach zu langsam voran“, sagt die an der Studie beteiligte Klimaforscherin Prof. Anita Engels.

Es ist das Eingeständnis einer gescheiterten Klimapolitik. Von allen. Politik, Gesellschaft – und Wirtschaft. Denn auch die Unternehmen tragen Verantwortung. Die meisten Konzerne haben zwar erkannt, dass sie etwas gegen die Erderwärmung tun können, ja müssen. Doch Studien kommen immer wieder zu dem Ergebnis: Es passiert zu wenig. Oder noch schlimmer: Es fehlt an Ehrgeiz.

Wirtschaft: Unternehmen setzen sich ambitionierte Ziele – doch an der Umsetzung mangelt es

Einen Hinweis darauf liefert das NewClimate Institute in Bonn, das jährlich den Beitrag großer Unternehmen wie Google, Apple, BMW oder Deutscher Telekom für den Klimaschutz untersucht. Dabei zeigt sich: Meist sind die Ziele ambitionierter als die Taten. Beispiel Telekom: Das Unternehmen „setzt sich ehrgeizige Ziele, liefert aber unzureichende Informationen zu Emissionsminderungsmaßnahmen“, heißt es in der letzten Studie aus dem Jahr 2022.

Ähnlich klingt es bei der Unternehmensberatung Deloitte, die ebenfalls Firmenmaßnahmen unter die Lupe nahm: „Insgesamt lässt sich feststellen, dass die meisten europäischen Unternehmen die absehbaren Auswirkungen des Klimawandels noch nicht ausreichend berücksichtigen und entsprechende Anpassungsmaßnahmen ergreifen.“ Und weiter: „Sollten die Unternehmen glauben, dass der Klimawandel in Europa weniger Auswirkungen haben wird als im Rest der Welt, unterschätzen sie die Risiken, denen sie durch ihre globalen Lieferketten und Märkte ausgesetzt sind.“

Linken-Politiker: „Klare Vorgaben aus der Politik sind die beste Stellschraube“

Übersetzt heißt das: Schon aus Eigennutz müssten die Unternehmen mehr tun im Kampf gegen die Erderwärmung. Ist das plausibel? Ralph Lenkert vertritt eine dezidiert andere Ansicht. Er ist klimapolitischer Sprecher der Linken im Bundestag und sieht es so: Unternehmen stehen untereinander im Wettbewerb, gleichzeitig gibt es Gewinnerwartungsdruck seitens der Eigentümer und Aktionäre. Wenn Unternehmen etwas fürs Klima tun, dann aus zwei Gründen: Entweder hilft es dem Marketing, oder es gibt klare Vorschriften. Lenkert hält letzteres für die beste Lösung. „Klare Vorgaben aus der Politik sind die beste Stellschraube für mehr Klimaschutz“, sagte er der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.

Auch Politik-Beraterin Lisa Okken von der Umwelt-Stiftung WWF macht die Frankfurter Rundschau auf fehlende politische Anreize aufmerksam. Sie nennt als Beispiel den Europäischen Emissionshandel, bei dem Firmen untereinander Emissionsrechte handeln. „Die Industrie bekommt einen Großteil der Emissionszertifikate kostenlos“, sagt Okken. „So werden die entsprechenden Preissignale nicht weitergegeben – und die Industrie erhält nicht die notwendige Planungssicherheit in klimaneutrale Verfahren oder Technologien.“ Das Resultat: „Die Industrieemissionen in Deutschland, die vom Europäischen Emissionshandel erfasst werden, stagnieren seit Jahren. Es passiert zu wenig in Richtung klimaneutraler Zukunft.“

Grüner Wasserstoff kein Allheilmittel: Doch Expertin sieht Chancen einer grünen Transformation

Als Lösung für den großen Energiebedarf der Industrie wird häufig grüner Wasserstoff propagiert. Die Herstellung ist extrem energieintensiv und nur „grün“, wenn er mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Daher brauche es zunächst einen massiven Ausbau von Erneuerbaren Energien, erklärt Ulrike Hinz vom WWF der Frankfurter Rundschau. Die Herstellung von Wasserstoff verbraucht zudem mehr Strom, als wenn man ihn direkt einsetzt, etwa für Elektroautos. Sinnvoll ist er daher vor allem für Prozesse, die nicht elektrifiziert werden können. „Es wäre beispielsweise gar nicht möglich, den ganzen PKW-Verkehr mit Wasserstoffautos auszustatten“, sagt Hinz. „Das würde den Wasserstoff für andere Industriezweigen abzweigen, in denen Wasserstoff alternativlos ist, wie in der Stahl- und Chemiebranche.“

Trotzdem blickt Hinz nicht pessimistisch in die Zukunft. Stattdessen sieht sie die Möglichkeiten einer grünen Transformation. „Wir in Deutschland haben die große Chance, in der grünen Wasserstoffwirtschaft, aber auch bei vielen anderen technischen Innovationen Vorreiter zu sein.“ Hinz zweifelt nicht daran, dass das die Industrie will. „Klimaschutzmaßnahmen morgen sind teurer als Klimaschutzmaßnahmen heute. Das verstehen auch langsam immer mehr Unternehmen“, betont sie. Dass es im ureigenen Interesse der Industrie ist, noch in 30-40 Jahren wirtschaftlich profitabel zu sein, könnte also ein Katalysator sein. Mit Blick auf das Zwei-Grad-Ziel ist das bitter nötig.

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