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Georgine Kellermann: „Je sichtbarer ich wurde, desto stärker wurde der Hass“

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Von: Robert Wagner

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Georgine Kellermann, Porträtfoto
Seit ihrem Outing als trans* Frau das Ziel queerfeindlichen Hasses: Georgine Kellermann, Journalistin beim WDR. © WDR/Annika Fußwinkel

Der Hass gegen Menschen wie sie sei größer geworden. Das sagt die trans* Journalistin Georgine Kellermann im Interview mit BuzzFeed News Deutschland.

Seit ihrem Outing steht sie an vorderster Front, wenn trans* und queere Menschen Zielscheibe von Hass sind: Georgine Kellermann, Leiterin des WDR-Studios Essen und eine der bekanntesten trans* Frauen Deutschlands. Jahrzehntelang wurde die 65-Jährige als Mann gelesen und lebte als Georg, bis sie 2019 allen Mut zusammenfasste und sich zu ihrem Frausein bekannte. Das machte sie auf Twitter öffentlich, was ihr enormen Zuspruch, aber eben auch viel Hass und Ablehnung einbrachte.

Mittlerweile hat sie dort über 40.000 Follower und nutzt ihre Bekanntheit, um für die Belange von trans* Menschen zu sensibilisieren. Das ist bitter nötig, denn seit einiger Zeit nimmt der transfeindliche Hass zu. Angebliche „Radikalfeministinnen“, sogenannte Trans Exclusionary Feminists (TERFs), nehmen umstrittene Vorträge über die Zahl der biologischen Geschlechter zum Anlass, um gezielt Stimmung gegen trans* Menschen zu machen, die weltweit zunehmend zum Opfer von Gewalttaten werden.

Eine starke Stimme gegen Hass, die Not tut

Erst im vergangenen November wurden fünf Menschen Opfer eines Amoklaufs in einem queeren Club in Colorado Springs in den USA. Gegen den Täter wird wegen eines Hassverbrechens ermittelt, wie die FAZ berichtet. Im Monat zuvor ermordete ein rechtsextremer Terrorist in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zwei Männer vor einem Szenetreff der lokalen LGBTQIA+-Community. Und im September erschütterte der Tod des jungen trans* Mannes Malte in Münster die deutsche Öffentlichkeit.

Georgine Kellermann hat es tagtäglich mit den Ressentiments zu tun, die letztlich zu solchen Taten führen. BuzzFeed News DE von IPPEN.MEDIA hat sie zu einem Gespräch gebeten und wollte von ihr wissen, wie sie mit diesem Hass umgeht und ob sie in der jüngsten Vergangenheit eine Zunahme beobachtet hat.

Sie haben sich im September 2019 als trans* geoutet, nachdem Sie viele Jahre lang ein Doppelleben geführt haben. Das befürchtete Karriereende ist nicht eingetreten. Waren alle Sorgen unbegründet? 

Als ich Mitte der 80er Jahre beim WDR mit meinem Vorgesetzten über mein Outing sprach, waren wir uns am Ende einig, dass das keine kluge Idee wäre. Damals war das Transsexuellengesetz frisch verabschiedet und ich empfand es als Befreiung. Aber ein öffentlich-rechtliches Unternehmen ist eingebettet in die Gesellschaft und die war noch nicht bereit für Menschen wie mich. Jetzt kommen wir Schritt für Schritt da hin. 2019 war für mich der richtige Zeitpunkt.

Haben Sie nach ihrem Coming-out auch Ablehnung oder Hass erfahren? Und wie gehen Sie damit um?

Ich habe viel Unterstützung erfahren, aber je sichtbarer ich wurde, desto stärker wurde der Hass. Im Moment kann ich damit umgehen und es schränkt mich nicht ein. Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen. Und das ist das schönste Leben ever. Das lasse ich mir doch nicht kaputt machen, indem ich mir von unangenehmen Menschen den Tag verderben lasse.

Ich nehme an, es ist vor allem digitaler Hass, auf Twitter beispielsweise.

Es ist hauptsächlich digitaler Hass, aber er schlägt mir auch auf der Straße entgegen. Es gibt Leute, immer als Mann gelesene Menschen, die mich sexuell belästigen. Quer über Kreuzungen schreien sie mir unanständige Dinge hinterher. Die Ablehnung und der Hass im Netz ist stärker, weil die Leute sich da noch mehr trauen. Da fallen Sätze wie ‚Ab in die Gaskammer‘ oder ‚Für dich gibts nur eine Lösung‘. Das würden sie mir wahrscheinlich auf offener Straße nicht sagen.

Hat der Hass in den sozialen Medien also eine andere Qualität?

Ja, weil er anonym ist. Es gibt nur wenige, die mit Klarnamen diesen Hass äußern. Manche lehnen Trans* Personen radikal ab und einige davon nennen sich radikale Feministinnen. Die weigern sich, mich als Frau zu akzeptieren. Ich bekomme so viel Unterstützung von Feministinnen, auch von radikalen Feministinnen, dass ich diesen Begriff nicht unbedingt auf diese TERFs anwenden würde. Und dann sind da auch noch die Trolle.

Was würden Sie den TERFs, die sie wegen der „Biologie” partout nicht als Frau akzeptieren wollen, sagen?

Mir ist es völlig egal, wie viele biologische Geschlechter es gibt. Darum geht und ging es nie.  Es geht um Menschenrechte und Respekt. Ich habe das mal so ausgedrückt: Der liebe Gott hat für mich die falsche Verpackung gewählt. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto richtiger wird das.

Ich habe den Eindruck, dass die Transfeindlichkeit in diesem Jahr zugenommen hat. Ist das auch Ihr Eindruck und spüren Sie eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas gegenüber Trans* Personen?

Ja, natürlich hat das zugenommen. Das hat vermutlich auch mit dem Selbstbestimmungsgesetz zu tun, das die Bundesregierung jetzt auf den Weg bringen will. In die Diskussion um dieses Gesetz haben sich auch Parteien eingeschaltet, die auf dieser transfeindlichen Welle mitschwimmen und so neue Wähler einfangen wollen. Ich selbst spüre es ebenfalls, besonders auf Twitter. Wenn ich einen Tweet absetze und merke, dass der stark kommentiert wird, dann weiß ich sofort, aus welcher Ecke die Kommentare kommen. Dann gucke ich da gar nicht mehr rein und bei manchen Tweets schalte ich die Kommentarfunktion mittlerweile von vornherein aus.

Es ist also mehr Hass als noch vor ein, zwei Jahren?

Ja, wobei dieser Hass vor allen Dingen im Internet grassiert. Also digital ist es mehr geworden, im echten Leben, auf der Straße bleibt es im Wesentlichen gleich. Dort erlebe ich mehr Unterstützung als Hass.

Apropos Twitter. Sie sind dort ja sehr aktiv und haben mittlerweile über 40.000 Follower. Warum tun Sie sich das eigentlich an?

Weil die Sichtbarkeit ganz wichtig ist. Es gibt viele Menschen, die aus Angst in ihrer Blase bleiben. Und dann gibt es viele, die mir schreiben: Du bist für mich eine, die mir zeigt, dass es auch für mich an der Zeit ist, die oder der zu werden, die oder der ich wirklich bin. Und wenn ich da nur einem helfe, ist es das alles wert.

Was können und müssen Medien leisten, um für weniger Hass und mehr Toleranz zu sorgen?

Bei manchen Medien habe ich den Eindruck, dass sie sich eine politische Agenda auf die Fahne geschrieben haben, deren Ziel lautet: Wir müssen das Selbstbestimmungsgesetz verhindern, koste es, was es wolle. Ich würde mir mehr Objektivität wünschen, gerade bei denen, die sehr ablehnend berichten.

Man könnte mal in die Schweiz gucken. Dort ist im Januar 2022 ein Selbstbestimmungsgesetz eingeführt worden. Haben Sie in den letzten Monaten von Skandalen aus der Schweiz gehört, dass sich jemand zur Frau umdeklariert hätte, um in weibliche Schutzräume einzudringen? Argentinien hat das Selbstbestimmungsgesetz bereits seit zehn Jahren. Haben Sie etwas aus Argentinien in dieser Richtung gehört?

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